Open-Access-Publizieren aus Sicht der Wissenschaft: Interviews mit Forschenden der Universität Potsdam
Interview mit Prof. Ralf Metzler, Lehrstuhl für Theoretische Physik (23. Oktober 2020):
Wie kommt man dazu, open access zu publizieren?
Wie und wann sind Sie das erste Mal mit dem Thema Open-Access-Publizieren in Berührung gekommen?
Prof. Metzler: Im Prinzip fast schon unfreiwillig. Ich weiß nicht wann das war, irgendwann 2002/2003 habe ich mein erstes Paper im New Journal of Physics veröffentlicht. Das Journal war damals ganz neu rausgekommen. Man hat für die referiert und dann einen Voucher bekommen, mit dem man dann bei ihnen open access veröffentlichen konnte. Damals war das lang außen vor, da wir dafür nicht die Ressourcen gehabt haben und auch das Bewusstsein für OA nicht da war.
Warum in den Naturwissenschaften noch immer ein relativ geringer Teil open access publiziert, ist eine gute Frage – Beim New Journal of Physics beispielsweise kommt einfach beides zusammen. Ich halte es für ein sehr gutes Journal, ich veröffentliche da sehr gerne und es ist open access. Aber ich glaube, in den Naturwissenschaften haben wir noch relative starke Verbindungen zu den non-Open Access-Society-Journals: zu Physical Review, zu allen IOP-Zeitschriften, in manchen Gebieten Physical Chemistry Chemical Physics. Ich glaube, diese Bindungen zu traditionellen Journals und deren Lesern sind bei uns noch ziemlich ausgeprägt.
In meiner Fakultät bin ich jemand, der relativ viel open access veröffentlicht. Das ist dem Umstand geschuldet, dass die Kosten pro Artikel bei den Journals, in denen ich open access veröffentliche, nicht über 2000 € liegen und so über den DFG-Publikationsfonds gefördert werden können. Das ist schwierig bei anderen Journals. Beim Physical Review X sind das bereits 3500 €, eher noch steigend, exorbitante Preise. Wir brauchen da von Springer Nature gar nicht zu sprechen: da geht es um ganz andere Dimensionen – klar freut sich jeder, ein Nature-Paper zu haben – aber das sind schon enorme Kosten.
Und wir sollten nicht nur von Europa sprechen: Es gibt viele Länder, in denen sich die Autoren solche Veröffentlichungen nur leisten können, wenn sie sich trauen zu fragen, ob sie nicht kostenlos veröffentlichen dürfen. Denn erstaunlicherweise lassen die Verlage ziemlich mit sich verhandeln. Mit solchen Kosten ist dann OA aber zu einem Grad zweischneidig für mich.
Wann haben Sie zum ersten Mal open access veröffentlicht?
Prof. Metzler: Ich glaube, das erste Mal war 2003. Zuerst, weil wir diesen Voucher gehabt haben und dann mit ganz großen Lücken. So richtig angefangen hat das dann mit meinem Wechsel nach Potsdam, denn in München hatte ich keine Gelder dafür gehabt.
Die Möglichkeiten open access zu publizieren sind für Sie also mit dem Publikationsfonds an der Universität Potsdam gestiegen?
Prof. Metzler: Absolut. Auf der anderen Seite gab es eine Zeit lang ein Agreement mit der Royal Society of Chemistry. In Soft Matter und PCCP haben wir über diese Schiene auch einige Open-Access-Artikel veröffentlicht. Und nun die ersten in IOP, The Journal of Physics – A, wo man diese hybriden Journale hat. Aber klar ist, wenn es Geld kostet, müssen die Fonds unterstützen. Und insbesondere wir als Theoretiker haben relativ geringe Publikationsmittel aus Projekten zur Verfügung.
Es ist wirklich zweischneidig. Ich mag das Open Access, weil jeder "draufklicken" kann. Es ist aber auch immer verbunden mit der Qualität des Journals.
Was ist Ihre größte Motivation, wissenschaftliche Artikel im Open Access zu veröffentlichen?
Prof. Metzler: Ich denke, die Verfügbarkeit für jeden zu jeder Zeit. Das ist einfach so. Aber auch aus "Selfmarketing" – die Papers sind von den Downloads deutlich höher. Gleichzeitig gibt es bei uns attraktive OA-Journals, wo man sowieso die Papers veröffentlicht, die sozusagen die Visitenkarten darstellen.
Sie meinen also, dass die OA-Journals es geschafft haben, sich auf dem "Reputationsmarkt" einen Platz zu erkämpfen und sichtbar zu sein.
Prof. Metzler: Absolut. Das New Journal of Physics hatte ein Kollege von mir aus Ulm – damals einer meiner Profs – mitbegründet, und das hat am Anfang auch Zeit gebraucht, bis das akzeptiert war. Dann war es eine Zeit lang genau dieses „Quantum-Journal“, in dem die Quanten-Optik-Community veröffentlicht hat. Auf einmal hatte es das Journal dann geschafft. Das New Journal of Physics hat sich zu einem sehr akzeptierten Journal entwickelt. Physical Review X als OA Journal gehört heute zu den am höchsten bewerteten Physics Journals. Aber in jedem Fall bestimmt nicht nur OA die Reputation, sondern auch die editorielle Arbeit.
Welche Hürden sehen Sie gegenwärtig für das Open-Access-Veröffentlichen?
Prof. Metzler: Als Autor kann ich da auch für alle meine Kollegen sprechen: Es ist eine Geldfrage, ganz klar. Wenn wir davon ausgehen, dass wir im Durchschnitt vielleicht 15 Papers pro Jahr produzieren, dann kann ich nicht alle aus meinen eigenen Töpfen open access bezahlen, das geht einfach nicht. Darüber sind sich sicherlich auch die DFG und alle anderen im Klaren. Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Entweder skaliert man die Zahl der Veröffentlichungen herunter – das halte ich für illusorisch, weil ein Wettkampf stattfindet und die Leute natürlich über die Veröffentlichungen bei Stellenbewerbungen beurteilt werden. Bei allen seinen Studenten will man ja schon, dass sie mit einer Veröffentlichung abschließen, auch um ihrer Karriere willen. Oder man setzt beim Preis an.
Wir sprechen hier von relativ billigen Journals – irgendetwas zwischen 1200 € und 1300 €. Und wir wissen ganz genau, da gibt es auch ganz andere Preise. Ich bin schon schockiert, wie teuer mittlerweile Communications Physics oder Physical Review X geworden sind: Das ist exorbitant. Ich habe immer die Befürchtung, dass wir hier ungleiche Welten erschaffen. Deshalb halte ich solche Fonds, wie die DFG sie unterstützt, für sehr, sehr wichtig.
Wie sehen Sie die Förderkriterien des Publikationsfonds? Was sollte dort ggf. angepasst oder verändert werden?
Prof. Metzler: Bei den hochpreisigen Journals: Ich glaube nicht, dass wir da so viele Veröffentlichungen in Nature oder ähnlichen in der Fakultät oder der Universität haben; dass eine Teilförderung so viel Ersparnis brächte. Jedoch bin ich mir da nicht ganz sicher. Ich hätte mir schon gewünscht, dass wir bei den Physical Review X eine Teilförderung bekommen hätten, denn 3500 € schneiden in den eigenen Haushalt rein. Oder wenn man die Möglichkeit hätte, dass man die Kosten mit anderen Kollegen teilen kann. Es bisschen mehr Flexibilität wäre schön, denn ich vermute, dass dies nicht wesentlich den Publikationsfonds belasten würde. In anderen Fächern habe ich keinen Einblick, aber die allgemeine Frage müsste doch lauten: Warum haben andere Fakultäten höhere Open-Access-Anteile? Haben die weniger starke Journalbindungen? Oder ist das bei denen einfach viel billiger?
Können Sie einschätzen, wie groß der Open-Access-Anteil bei den Artikeln ist, die Sie gerade für Ihr gegenwärtiges Projekt lesen und/oder zitieren?
Prof. Metzler: Was ich von anderen Leuten lese, da ist Open Access immer noch sehr gering – 15%. So lange es den Publikationsfonds gibt, ist bei mir ein relativ hoher Anteil von Open Access dabei – knapp die Hälfte. Das ist aber, glaube ich, zumindest in meinem Fach überdurchschnittlich. Die Loyalitäten zu den eingeführten Journals sind immer noch größer, als der Open-Access-Drang. Man guckt doch meistens, wo haben andere etwas ähnliches veröffentlicht. Was bei uns in der Physik allerdings noch anders ist, wir haben den Preprintserver arXiv Ich habe zwar ein paar Kollegen, die sich sträuben, dort zu veröffentlichen, ich setze in der Regel aber das meiste auf arXiv, denn das ist im Prinzip auch eine Art von Open Access. Das mögen manche Journals zwar nicht, ich habe jedoch noch von niemandem gehört, dass die Journals das monieren würden.
Kennen Sie in Ihrem Bereich Open-Access-Journals, die sich nicht über Autorengebühren (APC) finanzieren, sondern von Institutionen getragen werden, sogenannte Diamond OA-Journals?
Prof. Metzler: Nein, ich höre das nun gerade zum ersten Mal.
Interview mit Dr. Annett Salzwedel und Prof. Dr. Urs Granacher (22. Oktober 2020):
Die große Freiheit? – Warum man open access publizieren sollte
Open Access hilft allen: Es erleichtert den Zugang zu wissenschaftlicher Literatur. Es macht aber auch den Wissenschaftler*innen, die ihre Forschungsergebnisse publizieren und möglichst breit rezipiert wissen wollen, das Leben leichter – sagen viele. Aber was sagen die Forschenden selbst? Wie hat sich ihre Arbeit mit OA verändert? Wie nutzen sie es? Und wo sehen sie noch Luft nach oben. Matthias Zimmermann sprach mit der Rehabilitationsforscherin Dr. Annett Salzwedel und dem Trainingswissenschaftler Prof. Dr. Urs Granacher.
Wie und wann sind Sie zuerst mit dem Thema Open-Access-Publizieren in Berührung gekommen?
Salzwedel: Das kann ich gar nicht genau sagen, wahrscheinlich im Rahmen von Literaturrecherchen vor gut 10 Jahren.
Granacher: Das war im Jahr 2010 an der Universität Basel, Schweiz. Wir haben Daten aus einem von der SNF (Swiss National Science Foundation) geförderten Projekt in einem Open-Access-Journal publiziert. Der SNF verpflichtet Wissenschaftler, die Resultate der SNF-geförderten Projekte in frei zugänglichen Publikationen oder Datenbanken zu veröffentlichen.
Seit wann veröffentlichen Sie Artikel im Open Access?
Granacher: Seit 2010 und insbesondere seit 2012 an der Uni Potsdam mit Unterstützung des Publikationsfonds.
Salzwedel: Die erste Open-Access-Arbeit – eine Metaanalyse zum prognostischen Effekt der kardiologischen Rehabilitation – haben wir 2016 in einem Hybrid-Journal publiziert, ganz bewusst, um die Sichtbarkeit zu erhöhen. Mit Erfolg, wie sich zeigte: Mehrere Tausend Downloads und über 100 Zitierungen sind sicherlich in Teilen auch auf die unkomplizierte Verfügbarkeit zurückzuführen.
Was ist Ihre größte Motivation wissenschaftliche Artikel open access zu veröffentlichen? Was leistet OA, was vorher nicht möglich war?
Salzwedel: … der freie Zugang zu unseren Artikeln auch für Wissenschaftler, Studierende und andere Interessierte, die nicht über eine institutionelle Anbindung bspw. an eine gut ausgestattete Universitätsbibliothek verfügen können. Open Access ermöglicht Zugang zu wissenschaftlicher Evidenz für jedermann (sofern die technischen Voraussetzungen erfüllt sind).
Granacher: Wenn Forschungsprojekte mit öffentlichen Geldern finanziert werden, sollten die Ergebnisse allen Interessierten digital und kostenlos zur Verfügung stehen. Seit sogenannte „alternative Fakten“ auch in höchsten politischen Kreisen salonfähig wurden, erscheint der freie Zugang zu Forschungsergebnissen besonders bedeutsam zu sein.
Wie groß ist in Ihrer Arbeit als Forscher bzw. Forscherin – sowohl als Leser als auch als Autor – der Anteil an Open-Access-Artikeln?
Salzwedel: Auf jeden Fall zunehmend. Das liegt nicht nur an meinem Wunsch, dass meine Arbeiten auch gelesen werden. Es gibt im Open Access inzwischen Sparten, die von traditionellen Journals nicht gleichwertig z.B. in Bezug auf Qualität, Umfang und Zielrichtung bedient werden. Beispielsweise die Journal-Familie des JMIR (Journal of Medical Internet Research), die Artikel zur Digitalisierung in der Medizin publiziert.
Granacher: Der Anteil an Open-Access-Artikeln ist während der letzten Jahre in meiner täglichen Arbeit sowohl in Forschung als auch in Lehre stetig angestiegen. Insbesondere sind Open-Access-Artikel für die forschungsbasierte Lehre und die Nutzung in forschungsorientierten Seminaren von großer Bedeutung. Bei unseren Forschungsprojekten im Spitzensport kommt die Open-Science-Philosophie zuweilen an ihre Grenzen, da im Wettstreit der Nationen um das Podium die Daten von Spitzensportlern besonders schützenswert sind. Hier wird oftmals zwischen Wissenschaftlern und den Bundessportfachverbänden vereinbart, dass die Daten von Athleten zum Beispiel mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung publiziert werden.
Welche Hürden sehen Sie gegenwärtig für Open-Access-Veröffentlichungen? Wo besteht Verbesserungsbedarf, auch hier an der UP?
Granacher: Zunächst einmal möchte ich die Chance nutzen und mich bei der UP für die finanzielle Unterstützung meiner Forschungsarbeiten während der letzten Jahre aus Mitteln des Publikationsfonds bedanken. Sogenannte „Predatory Journals“ stellen ein großes Problem im Zusammenhang mit unseriösen Open Access Zeitschriften dar. In der Zwischenzeit kann mit Open Access Journals viel Geld erwirtschaftet werden, weshalb es schwarze Schafe unter den Zeitschriften und Herausgebern gibt. Dabei ist Beall's List of Potential Predatory Journals and Publishers hilfreich und kann Aufschluss geben, welche Zeitschriften zu vermeiden sind. Darüber hinaus können die teilweise hohen Publikationskosten einiger Zeitschriften zum Beispiel Wissenschaftler aus Schwellenländern benachteiligen.
Salzwedel: Ich sehe verschiedene Probleme. Zum einen ist das Veröffentlichen gegen Publikationsgebühr in einem Fachjournal nicht für jeden gleichermaßen finanzierbar. Hier findet also eine Selektion nach institutioneller Anbindung und wirtschaftlicher Ausstattung statt. Zum anderen erreicht uns täglich eine Flut von E-Mails aus Verlagen, die nicht selten mit geminderten oder gar erlassenen Publikationsgebühren und „rapid review“-Verfahren werben. Hier ist es selbst für erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitunter schwierig, sogenannte Predatory-Publishers zu erkennen.
Gibt es in Ihrem Forschungsbereich auch sogenannte Diamond OA Journals – OA Zeitschriften, die institutionell und nicht über APC finanziert werden?
Granacher: Ja, diese Zeitschriften gibt es. Im Directory of Open Access Journals (DOAJ) können diese Zeitschriften identifiziert werden. Seriöse Zeitschriften mit Article processing charge (APC) bieten oftmals sog. fee waiver an, um benachteiligten Wissenschaftlern und Autoren die Publikationsgebühren zu erlassen.